Sharon Van Etten - Remind Me Tomorrow
Rezension
Fast fünf Jahre lang hatte sich Sharon aus der Studio-Album-Routine zurückgezogen, und dafür ihre verblüffend vielschichtige Energie in allerlei andere Aktivitäten investiert, schrieb Soundtracks, kümmerte sich um Haushalt und Kinder, spielte in einer Netflix-Serie mit (wer nachschauen möchte: The OA) und begann ein Psychologie-Studium. In dieser Phase war ihr das heimische Klavier der engste musikalische Begleiter (die Gitarre hemmte ihr Schreiben, heißt es), und so entstanden die zehn ebenso überraschenden wie glücklich gewohnten Ohrwürmer des 2019er Werks allein auf Basis der privaten Pianotasten. Mit der Maßgabe, sich vorher mit Portishead, Suicide und Nick Cave zu beschäftigen, wurden die bereits hochmelodiösen Demo-Fassungen an Produzent John Congleton übergeben, der ihnen ein flirrend schillerndes Klangkleid aus allerlei Keyboard-Farbspielereien zauberte, die vom analogen Synthesizer über artige Klavierakkorde, Orgel und verzerrten Harmonium-Wogen bis hin zu dezenten Trip Hop-Teppichen reichen und die Absenz von gewohnten/gewöhnlichen Gitarren schlicht vergessen lassen. Bei aller Klang-Kunst strahlen die Songs einen anfänglich überraschenden, handgemacht natürlichen Charme aus, der seine betörende Kraft nicht zuletzt aus Sharon's bewegender Stimme zieht. Irgendwo zwischen Psyche Folk on Acid, emotionsgeladener Elektronik und seligem Singer-Songwriter-Segen, in den eigensinnig-einzigartigen Weiten zwischen Kate Bush, Siouxsie und Leslie Feist erreicht das neue Songwerk auch die entlegensten Tiefen des Hörerherzens und schenkt uns eine weitere verwegen verspielte, versponnen verführerische Facette einer faszinierenden Frau. (cpa)
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