Wolfgang Müller - Die Nacht Ist Vorbei
Rezension
Nach jedem neuen Album denkt Wolfgang Müller, "das ist mein Letztes, nie wieder'. Müller ist der Typ im Dachzimmer, der Gitarre spielt und neuerdings auch Klavier und nach Worten sucht, um an der Welt nicht wahnsinnig zu werden. Konzerte sind für ihn der Horror, Stichwort Sozialstress, und er ist ungefähr so gefallsüchtig wie eine Buche im Wald, also nicht so sehr. Trotzdem hat wieder ein neues Album aufgenommen, sein sechstes. Es heißt 'Die Nacht ist vorbei' und ist sein bestes. Ein halbes Jahr hat er an 'Die Nacht ist vorbei' gearbeitet, die letzten sechs Wochen so intensiv, dass er nach eigenen Angaben in fragwürdige Zustände gekommen ist und sich erst mal wieder abregen musste. Aber er ist glücklich, hat alle Fesseln abgestreift, den Blick nach innen gerichtet, nachts allein im Dachzimmer, ohne Band im Rücken, den inneren Bullshit Detektor stets am Anschlag, bis jedes Wort stimmte und jeder Ton. Keine Kompromisse, als wär's das letzte Mal, der letzte Kampf, der letzte Versuch, das Leben in Lieder einzufangen, die man dann in die Welt schickt, ohne Erwartungen. Der Witz ist, 'Die Nacht ist vorbei' wirkt so leicht, selbstverständlich und mühelos, als wär's ihm einfach so passiert. Als könne es nur so und nicht anders sein. Diese Lieder zu hören, ist ein bisschen wie Schweben. Die Musik wirkt wie dahingetupft. Müllers Akustikgitarre, hier und da Klavier, sparsam eingesetzte Synthie-Sequenzen, die Räume öffnen, zuweilen ein sachter Beat, dezente elektronische Akzente, blaue Harmonie, und darin Müllers warme Stimme, die so sehr Instrument ist in diesem wellenartigen Wohlklang in Moll, dass einem erst nach einigen Durchläufen klar wird, dass die Texte das Großartigste sind an dieser erstaunlichen Platte. Mit den Songs und Zeilen, die Müller über den Jordan geschickt hat, bevor die endgültigen 10 Lieder entstanden, hätten andere drei Alben gefüllt. Er nennt das "den Kiesel schleifen, bis er rund ist", "Pfannkuchen wenden", "Aderlass" und sagt, er habe irgendwann die Flöhe husten gehört, Stichwort Perfektionismus. Zum Glück war er nicht allein. Hatte er ein Lied endlich soweit, dass es stimmte, schickte er es zu Philipp Kraus, seinem Produzenten. Der hat auf den ersten drei Alben E-Gitarre gespielt, später Radio-Pop produziert, und nun mit schlafwandlerischer Sicherheit Müllers Songs veredelt. Die Lieder schossen von Müllers Dachzimmer zu Kraus' Heimstudio hin und her, bis sie fertig waren - die Songs und die Männer. Aber so entstehen große Alben. Müller hat sich durch Minimalismus befreit, mit Konzentration auf den Kern und größtmöglicher Aufrichtigkeit. Er hat da was freigelegt. 'Die Nacht ist vorbei' ist voller Licht, und es kommt von Herzen. Und zum ersten Mal denkt Wolfgang Müller nicht, dass dies sein letztes Album ist. (Tino Hanekamp)
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