Steiner & Madlaina: Cheers - Hilfe
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Steiner & Madlaina - Cheers

Cover von Cheers
Steiner & Madlaina
Cheers

Label Glitterhouse Records
Erstveröffentlichung 19.10.2018
Format CD
Lieferzeit 1 – 3 Werktage
Preis 12,75 € (inkl. MwSt. zzgl. Versand)
Rezension

Vom zynischen Zauber der Zweisamkeit oder: Doppelt gesungen hallt besser oder: Vom Lösen und Binden, Leiden und Finden. Nicht aus dem Nichts trifft uns dies dennoch überraschend überwältigende Volle-Länge-Debüt der beiden Schweizer Sinnesschwestern, neben zwei Kurzform-Vorläufern und der familiären Vorbelastung, die den musikalischen Erfahrungshorizont von Nora Steiner und Madlaina Pollina weit über die eigene Lebenszeit hinaus füllt, herrscht bei dem kreativen Doppel-Kopf eine geradezu geniale Geistesverwandtschaft, die sich in einer mit knappen Worten kaum zu greifenden akustischen Ausdrucksvielfalt ergießt und ergänzt. Dabei gelingt es dem perfekten Paar mit der vielinstrumentalen Unterstützung von Alex Sprave, aus auf den ersten Blick schmal scheinenden Besetzungen mitunter gewaltige, hallreiche Klangwälle anzuhäufen, zart-zerbrechliche Anfänge in emotionsreich vehemente Wogen von mitreißender Wucht zu verwandeln, wobei sie sich in einem ungemein reichhaltigen Stilfundus bewegen, den sie trotz seiner generationsübergreifenden Vielfalt nicht einfach nur benutzen, sondern leben. Bei aller unwiderstehlich ohrgängigen Macht der maueraufweichenden Melancholodien der zwei Klang- & Wort-Zauberinnen, bei aller vom ersten Moment packenden Emotions-Energie der mal in der balladesken Breite, mal in der trommel-getakteten Tanzeinladung wirkenden Weisen bemerkt der beeindruckte Lauscher erst beim Zweit- und Dritthören, wie viele Stil-Schubladen hier geöffnet werden. Ihre eigensinnige Eigenart schöpft das Duo mit gewandter Hand aus mehr als 6 Jahrzehnten Populärmusik, hier wird mit 50er Rock'n'Roll-Wehmut und 60's Surf-Twang, 70er Jahre Liedermacher-Leidenschaft und 80's Independent-Pop-Zutaten gekocht, verletzliche Folk-Momente wirken neben gefühlsgreifenden Untiefen von Walker Brothers-werter Weite, packend-perfekte Ohrwürmer, glorreich gleißende Hymnen und Balladen-Bombast von nahezu tragischer Größe werden ebenso mit Leben und Leidenschaft gefüllt wie mal unterschwellig, mal offensichtlich schlagwerkgetriebene Rhythmus-Offerten. Aber selbst die verführerischste Verlockung zum Tanz ist gespickt mit verbalen Stolperfallen, mal zweifelsreichen, mal zynischen Alltagseinblicken, die in ihrem zum Teil ernüchterndem Realismus im schmerzhaft reizvollen Kontrast zur melancholisch-melodischen Wohlklangfülle stehen. Vorwiegend von Klavier- und Gitarrenklang getragen, aber auch immer wieder von ausufernden Saiten-Attacken, farbreichen Tasten-Tupfern und polternd-packender Perkussion befeuert, wachsen die beiden sich mal gefährlich gleichenden, sich mal so eigen, so eigensinnig gebenden Gesangsschwestern umso herzhafter im wohlklangverliebten Vokal-Paarflug zusammen, um auch zwischen zerbrochenem Glas und rücksichtsvollem Schweigen noch die hoffnungsspendende Kraft der Harmonie leuchten zu lassen. Von Twang und Tragik, Schwermut und Charme, Gleichklang, Größe und erstaunlicher Erfahrung geprägte Liedersammlung zweier kongenialer Kollaborateurinnen, immer ein Tick mehr Rock ('n'Roll) als Pop, stets eher Singer-Songwriter-Chanson als Folk-Ballade, bei aller wirklichkeitsnahen, dreisprachig gereichten Wortkunst von derart deutlicher musikalischer Wucht und Wärme getragen und getrieben, dass zwischen Stil-Stühlen, Schranken und Schubladen ein leidenschaftliches Liedwerk von Genuss, Charme und bleibender Bedeutung entsteht. (cpa)


Steiner & Madlaina malen das Bild einer Welt, die wir schon lange nicht mehr so eindrücklich und reflektiert wahrgenommen haben. Aufbruch, Licht und Schatten und die Bedrängnis der Gegenwart, ausgedrückt in bezauberndem Indie-Folk-Pop, der Zähne zeigt und enorme Dynamik entwickelt. Mal erinnert ihr zweistimmiger Gesang an First Aid Kit, ihre liedschreiberische Zugänglichkeit lässt an den perlenden Pop von Boy denken, dann wieder geleiten uns Nora Steiner und Madlaina Pollina an düstere Abgründe, wie sie auch Emily Jane White beschreibt. Allerdings sind dies nur ungefähre Orientierungspunkte, allesamt Vergleiche, die der Originalität von Steiner & Madlaina nicht gerecht werden.
Dass die beiden aus der Schweiz kommen, ist grundlegend für „Cheers“, das erste Album von Steiner & Madlaina. „Cheers“ heisst nicht nur Prost, Cheers kann ein Anfang und ein Ende sein, eine Begrüßung und auch ein Abschied.
Ihre Musik spielt gekonnt mit textlicher Ambivalenz. Mal fließt sie lieblich daher, dann türmen sich die Instrumente zur Soundwalze auf. Durch die analogen Sounds und teils surfigen Gitarrensounds gewinnt das Album an Wärme und transportiert einen unterschwelligen 60er Jahre Charme - ein nicht nur kokett hingetupftes Stilmittel, das sich durch ihre einprägsamen Titel zieht. Die Arrangements profitieren davon, dass Steiner & Madlaina mittlerweile mit kompletter Band auftreten - im Zentrum stehen aber immer die beiden Stimmen, die so perfekt harmonieren, dass man die Vertrautheit und langjährige Freundschaft herauszuhören meint. Aus feinfühligen Beobachtungen weben die beiden hoffnungsvolle Geschichten, denen meist das Happy End versagt bleibt. Stattdessen schwingt ein rebellischer Unterton mit, etwa in der Dringlichkeit von “Riot” oder in "Das Schöne Leben". Nora und Madlaina selbst sagen: „Jeder Song erzählt eine Geschichte aus dem schweizerischen Leben ‚Das schöne Leben' beispielsweise ist die Beschreibung eines privilegierten und im Überfluss ertrinkenden Lebens in einem Land wie der Schweiz. Das Leben in einer gespaltenen Welt, wo wir vor lauter Möglichkeiten Angst bekommen haben, unsere Träume zu verwirklichen. So bleiben wir paralysiert sitzen und stürzen uns in einen Überkonsum, der uns vorübergehend eine gewisse Zufriedenheit vormacht.“

Ihre Herkunft wird naheliegender Weise am stärksten in ihrem schweizerdeutschen Song „Herz vorus id Wand“ zum Ausdruck gebracht. Für die ohnehin schon mehrsprachige Band „war es sehr wichtig, unsere Muttersprache auch auf dem Album präsent zu haben.“ Mit Beobachtungsgabe und Wortgewandtheit verstehen sie es, Geschichten des menschlichen Zusammenseins in nur vordergründig naheliegenden Verläufen zu erzählen. "Wenn du mir glaubst" etwa ist eine fast zwangsläufig nicht im Glück mündende Ode an die scheiternde Zweisamkeit. Ein mitreißendes Meisterstück gleichermaßen.
Sie sind junge, hochtalentierte Songschreiberinnen, ihre Gabe, Emotionen durch Beobachtungen in ihren Liedern zu transportieren, ohne mit Befindlichkeitstexten beliebig zu werden oder sich ausgetretener Pfade zu bedienen, ihre Vorstellung von bestimmten Sounds und Arrangements, die ihre Lieder adäquat präsentieren, die Mehrsprachigkeit als Katalysator von Inhalten, die Originalität ihrer Themen - in der Welt des am Lied orientierten Indie-Pops ist diese Anhäufung von Besonderheiten selten.
Von ihren ersten, selbstverlegten EPs bis zu "Cheers" ist darüber hinaus eine Entwicklung zu bemerken: Songs und Arrangements sind umfassender geworden, ohne ihren ureigenen Charme eingebüßt zu haben. Sie setzen ihre Mehrsprachigkeit konsequent um - fünf deutschsprachige, vier englischsprachige und einen schweizerdeutschen Titel umfasst "Cheers". Das genügt höchsten künstlerischen Maßstäben. Und ist doch zugänglich. So leicht und beschwingt im einen Moment - so tief gründend im nächsten. Wie aus Reispapier gefaltet und aus Bronze gegossen - gleichzeitig. Diese Perle der Avant-Pop-Kunst ist ein wahres Geschenk. Ein berückend begabtes Paar mit einem berückend einnehmenden Debütalbum. Cheers!

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