Michels - Erntezeit (Digipak)
Rezension
Der noch vor Veröffentlichung dieses Albums 2017 verstorbene Wolfgang Michels mit seinem musikalischen Testament. Ein reifes, wie aus der Zeit gefallenes Westcoast Werk, das nochmal seine ganzen Qualitäten als Verfasser außergewöhnlicher (und außergewöhnlich guter) Songs zeigt. Ein Musiker, der viel, sehr viel mehr Erfolg verdient gehabt hätte.
Wenn man sich heutzutage in der deutschen Musikszene umschaut, findet man viele Künstler, die ihre eigenen Lieder schreiben. Wenn sie englisch singen, nennen sie sich Singer-Songwriter – wenn sie deutsch singen, bisweilen Liedermacher. Nur wenige konnten international auf sich aufmerksam machen und beides in sich vereinen – auf Wolfgang Michels, kurz Michels, trifft dies zu.
Geboren 1951 in Delmenhorst als Sohn pommerscher Vertriebener kam Michels über die Beatles zur Musik und schrieb schon im Alter von 14 Jahren seine ersten Songs. Bandprojekte folgten und durch eine glückliche Fügung des Schicksals schickte ein Freund ein Band mit Aufnahmen an BBC Radio DJ Peter Sahla in London. Der Kinks-beinflusste Song, der auf Platz 2 hinter den Rolling Stones mit „Jumpin‘ Jack Flash“ landete, hieß „Desert Walker“. Ein programmatischer Titel für die Karriere des Wolfgang Michels, denn wie ein Rufer in der deutschen Musikwüste spielte er qualitativ in einer anderen Liga als die heimischen Pop- und Rock-Epigonen.
Alexis Korner erkannte das Talent Michels‘ und lud ihn nach London ein um ihn der hiesigen Szene vorzustellen. Motiviert ging er aufs Ganze und gründete eine Band - Percewood’s Onagram – deren Mastermind er war: Sänger, Gitarrist, Songwriter. 1969 spielten Drogen natürlich bei dem Bandnamen eine Rolle: Percewood war ein Namen, der dem jungen Michels im Traum erschien und mit Onagram war klar, dass er auf 1 Gramm guten Stoffs war. Als Pionier in der im Aufbau befindlichen deutschen Rockszene gründete Michels 1969 mit Virgin Records sein eigenes und somit die erste unabhängige deutsche Plattenfirma – zu einem Zeitpunkt als Richard Branson noch studierte und sein Virgin Records noch in weiter Ferne lag. Niemals um eine gute Idee verlegen, war das Label des Debüt-Albums noch mit einem Plastiküberzug versehen, so dass man beim Erstabspielen der Scheibe die Platte „entjungferte“. Das Fernsehen und Radio wurde auf die Band mit Michels, Klaus Kaufmann (Klavier), Eddie Muschketat (Blues Harp, Percussion) und Ludi Ludwig (Schlagzeug) aufmerksam.
Weitere epochale Alben folgten, bei aller Experimentierfreudigkeit blieb Michels dem klassischen Songwriting beeinflusst durch Bob Dylan, Ray Davies, Lennon & McCartney, Jagger & Richards, treu. Ein Song bestehend aus Verse, Chorus, Bridge, das ganze im Popsong-Format. Ob solo akustisch an der Gitarre oder im Bandformat – Michels überzeugte live (wie das Kunstkopf-Album von 1975 bezeugt) und im Studio.
Ergänzt durch zwei amerikanische Musiker (Peter Conant-Schaffer an der Leadgitarre und Geary Priest am Schlagzeug) ging Michels 1974 sein bis dahin ambitioniertestes und ausgereiftestes Werk an: Ameurope. Ameurope war der Ort, an dem er sich musikalisch sah. Weder dem Krautrock noch Schlager verbunden, vereinte Percewood’s Onagram Michels‘ Vision eines postmodernen musikalischen Stils, der Psychedelic Rock, Folkrock und Blues vereinte, so wie einst die Beatles auf dem Weißen Album unterschiedlichste Stile kongenial verschmolzen.
Richard Borowski war der perfekte Toningenieur für „Ameurope“, der zeitgleich Aufnahmen einer Band namens Ton Steine Scherben betreute, deren Sänger ein gewisser Rio Reiser war. Ein glücklicher Zufall, dem eine langjährige Freundschaft / Songwriter-Partnerschaft bis zum Tode Rio Reisers im Jahr 1996 folgte. Die Hamburger Morgenpost bezeichnete Percewood‘s Onagram 1974 auf ihrer kreativen Höhe als „eine der besten bundesdeutschen Rock-Gruppen".
1975 war Percewood‘s Onagram Geschichte und Michels startete solo durch. Erste Solo-Auftritte im Londoner Marquee Club folgten und im Mutterland des Rocks ging er durch Connections an die amerikanische Westküste um als erster deutscher Rockmusiker Aufnahmen zu machen – lange bevor es en vogue wurde. Amerikanische Musiker / Labels erkannten das Talent des musikalischen Schwerstkalibers Michels und unter der Leitung von Paul C. Curcio und John Nowland aus dem Neil Young- / Doobie Brothers-Umfeld nahm er 1976 sein Debütalbum „Full Moon California Sunset“ auf. Mit dabei: sein ehemaliger Bandkollege Peter Conant-Schaffer. Das Album mit der Hitsingle „Do you still dig it“ schlug in der deutschen Musiklandschaft wie eine Bombe ein und hatte u.a. mit dem Klassiker „Ramona from Roma“ und „Music business nightmare“ weitere Perlen en masse anzubieten, die dem Album Vergleiche mit Bob Dylans „Blood on the tracks“ und Neil Youngs „Harvest“ einbrachten. Eine Auszeichnung für einen Echo (damals Deutscher Schallplattenpreis) als „Bester deutscher Nachwuchskünstler“ war die Konsequenz. Angebote in den USA für US-Labels aufzunehmen, schlug er der Liebe wegen ab. 1979 folgte eine weitere exzellente Westcoast-Scheibe – „Crazy enough“.
Die 80er kamen und damit die große Zeit von Deutschrock und NDW. Michels textete und sang auf einmal deutsch und dies gut, denn er arbeitete von dort an mit Ton Steine Scherben-Sänger Rio Reiser als Musiker / Texter / Produzent an der Album-Trilogie „Irgendwas stimmt hier nicht“, „Keine Probleme“, „Bei Mondschein…“ zusammen. Seine Texte sind direkt ohne Kopfballast während die Songs abgehangen, lässig und „undeutsch“ daher kommen. Im Vorprogramm von Joan Baez trat er 1983 in München auf.
1989 ging er mit der Single „Dancin‘ on the edge of life“ als Percewood in die Charts und veröffentlichte 1994 mit „Orange Kindergarden“ eine Werkschau. Promotet wurde das Album durch die westcoast-artige Single „Bring me water“ für die Jim Rakete ein Video in der kalifornischen Mojave-Wüste und am Mono Lake drehte. Michels war wieder zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – Pat Thomas nannte den Acoustic Rocker „one of Germany’s best kept secrets.“
Aber Qualität setzt sich bekanntermaßen durch – auch wenn es über den Umweg USA sein muss. Eine neue Generation von Fans wurde auf Michels und Percewood’s Onagram aufmerksam und so wurden 2003 alle Alben remastered und mit Linernotes / unveröffentlichten Bonus-Tracks wieder veröffentlicht. „Zuhause“ war 2008 das lang ersehnte Comeback-Album von Michels, das einen unveröffentlichten Song („Bald zuhause“) mit Text von Rio Reiser präsentierte. Als einziger deutscher Musiker tourte er im Vorprogramm von Neil Young durch Deutschland um das Album zu promoten und Kollege Udo Lindenberg war voll des Lobes: „Hammerscheibe, kriege ich lange Ohren, für Überraschungen gut, da zück ich meinen Hut. Geile LP! Weltmeistersongs! Ahoi, power on!“
Am 14. September 2017 starb Deutschlands bester Singer-Songwriter Wolfgang Michels und hinterlässt eine Lücke in der deutschen Musikszene. Seine Sonderstellung als exzellenter SingerSongwriter mit internationalem Format ist unbestritten wie seine Songs beweisen, die von Rio Reiser, Fettes Brot und Doro gecovert wurden. „Hätte Michels damals in Amerika oder England gelebt, wäre ihm größere internationale Aufmerksamkeit sicher gewesen“ urteilte Siegfried Schmidt-Joos über ihn. Für mich sprachen seine außergewöhnlichen Songs die Seele an und seine direkten Texte trafen ins Herz. - Tom Sobilo, Frankfurt am Main 15.10.17
Wolfgangs sehnlichster Wunsch war, dass sein Album „Erntezeit“ genau so, wie er es sich vorgestellt hat, auf Glitterhouse Records erscheint. Wir sind froh, dass es uns gelungen ist, dies umzusetzen und auch stolz, dass dieser singuläre Künstler der deutschen Musikszene uns dafür ausgewählt hat. Am 14. September 2018 erscheint mit „Erntezeit“ vielleicht das beste, mit Sicherheit aber das persönlichste Album im Schaffen von Wolfgang Michels.
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