Alan Braufman - Infinite Love Infinite Tears
Rezension
Ein Jazz-Veteran (Altsaxofonist aus der New Yorker Loft-Szene der 70er), der 1975 seine Debut-LP (auf dem tollen India Navigation-Label) rausbrachte, mir dennoch bislang völlig unbekannt war. Was dann doch nicht so verwundert, weil es satte 45 Jahre dauerte, bis die zweite LP rauskam (dieses ist die dritte). Zwischendurch arbeitete er mit/bei z.B. Carla Bley, Bill Frisell, Cecil McBee, Philip Glass (!). Und veröffentlichte zwei Alben unter anderem Namen, die wohl psychedelisch angehaucht waren. Dieses Quintet ist superb besetzt, als zweiter (Tenor-) Saxofonist agiert der großartige James Brandon Lewis (der so langsam zu einem meiner Allzeit-Lieblings-Jazzer wird), zudem der bestechende Drummer von dessen Band, Chad Taylor, zudem begeistert mich das Vibrafon von Patricia Brennan (die gar nicht so selten kurzzeitig einen Effekt einsetzt, der an einen Synthie erinnert, keine Ahnung, wie das funktioniert). Alle, wirklich alle Musiker spielen einfach prächtig, nicht nur während der vielen hinreißenden Soli, Bass und Drums erhalten dafür (nicht überraschend) weniger Spielraum. Drei der 6 Stücke finde ich absolut fabelhaft. An erster Stelle das mich ein wenig an bestimmte Stücke von Charlie Hadens Liberation Music Orchestra erinnernde fantastische „Liberation“ (ist das ein Zufall?), frei-getragen, spirituell und irgendwie (melodisch) hymnisch im Geiste des Free Jazz der späten 60er, intensiv, verdichtet, emotional (die beiden Sax-Soli und das vom Vibrafon sind Weltklasse!). Fast genauso toll: Der Titeltrack, melodisch wunderbar, das erhabene Thema in brillanter Zusammenarbeit der beiden Saxes vorgetragen, ein herrliches lyrisches Vibrafon-Solo über differenziert/filigran swingendem Background, ein ungeheuer ausdrucksvolles poetisches Flöten-Feature („sprechend“, könnte man sagen). Schließlich „Chasing A Melody“, das startet wie Ornette Coleman (melodisch ebenfalls exquisit), teil-swingend als rasanter (Post) Bop fortgeführt wird (a la späte 60er, wiederum), stellenweise aufgebrochen und avanciert vor allem durch das Vibrafon (klasse Harmonik), auch hier traumhafte Soli von Tenor- und Alt-Sax sowie Bass. „Brooklyn“ gefällt mir gleichfalls sehr, tänzelnd-swingend-groovend (dezente Afro/Latin-Untertöne), melodisch schon wieder feinst und ansteckend, zugleich konzentriert/kompakt insgesamt. Die beiden restlichen Nummern gehen einmal Richtung Post Bop in eher zeitgenössischer Form (nur ein Hauch Latin); bzw. wirken zum anderen beinahe rockig (samt intelligenter Breaks) mit deutlich freieren und z.T. eine Spur aggressiveren Soli, die zugleich rhythmisch stärker akzentuieren, inklusive Sidesteps zum modifizierten/erweiterten M-Base-Sound eines Steve Coleman in den 80ern, zeitweise auch im Free Jazz-Terrain angesiedelt. Beide Stücke finde ich richtig gut, aber nicht so überragend wie die anderen, einem Freund von mir ging es andersrum. Insgesamt jedenfalls eine dickte fette Empfehlung! (detlev von duhn)
Tracklisting
1. CHASING A MELODY< |
>2. INFINITE LOVE INFINITE TEARS< |
>3. SPIRITS< |
>4. EDGE OF TIME< |
>5. BROOKLYN< |
>6. LIBERATION |