Brezel Göring - Friedhof der Moral
Rezension
Brezel Göring – die Grand Dame des Berliner Chansons bzw. des Chansons Kaputt, die funkelnde Punkprinzessin Kreuzbergs, die mit Glamour und anarchistischem Humor wie eine Flipperkugel an jeder musikalischen Erwartungshaltung abprallt – wechselt spielerisch und meisterhaft zwischen unzähligen Genres und saust ungebremst von einer Attraktion zur nächsten!
Wo auf dem Vorgängeralbum Psychoanalyse Volume 2 Fragenzeichen den Plattenrücken zierten, müssten es hier eigentlich Ausrufezeichen tun, denn die Platte hat Schmiss, ist mitreißend, temporeich, macht gute Laune, ist sehr verspielt und extrem facettenreich. Vor allem ist sie extrem. Thematisch, lyrisch und musikalisch. Es finden sich Referenzen zu Klassik, japanischen Blues, Diskomusik, Punk, Hiphop und natürlich französischen Chansons. Friedhof der Moral ist ein musikalisches Feuerwerk, sprachgewaltig, voller filmischer Kurzszenen und bringt unsere Synapsen zum Glühen.
Begeistert begeben wir uns auf die rasante Reise ins musikalische Universum von Brezel Göring – es ist eine unbändige, wilde und grenzenlose Reise. Gleich zu Beginn fliegen wir durchs All, durchqueren das komplette Planetensystem, fahren später über Italien, Frankreich und Griechenland direkt nach Tschernobyl, machen Halt im Stundenhotel, bleiben doch lieber in Berlin, schwanken die (Kreuzberger) Oranienstraße lang und treffen an der Straßenecke auf den Frühling, um dann wie ein Ufo über dieser beschissenen Stadt zu kreisen und schließlich setzt sich die Reise düster und melancholisch ins Jenseits fort … Es ist eine sehnsüchtige, sanfte Note, mit der die Platte endet und mit lieblichen Melodien und zartem Gesang ein Abschiedslied an Françoise Cactus erklingt.
So sind Einsamkeit, Dunkelheit, Sehnsucht und Tod auch bei diesen 13 Stücken stets wiederkehrende Motive und es gibt erneut einiges zu berichten aus der Themenwelt der Psychoanalyse: es geht um Obsessionen, Drogen, zwischenmenschliche Probleme, Trennungen, Vergangenheit und Aussichtslosigkeit. Die Texte sind tiefgründig und abgründig, dabei aber zuverlässig kurzweilig, poetisch, raffiniert, originell und wahnsinnig lustig. Wir treffen auf Feuerlöscher, Fast Food, Flipperautomaten, fantastische Fahrzeuge, sind sexuell aufgeladen, verzeihen nie und begraben schlussendlich unsere Moral.
Brezel Göring bleibt sich treu und erfindet sich doch neu. Und er hat sich Mitreisende an Bord geholt bei Friedhof der Moral. Seine Band Psychoanalyse ist eine illustre Truppe an Musiker:innen und Sänger:innen aus Kreuzberg, Taiwan, Frankreich, Chile und dem Sorbenland, die mit ihren ungewöhnlichen Klängen und Stimmen die Platte bereichern.
(Stefanie Mousa)
Unser Rezensent schreibt zum Album:
Für mich eines der überraschenden Highlights des Jahres 2022, Brezel Görings erstes Soloalbum und das kurz nach dem niederschmetternden Tod von Stereo Total-Langzeitpartnerin Francoise Cactus. Selten ist mir gewollt sentimentale Musik so zu Herzen gegangen wie „Psychoanalyse (Volume 2)“ (Teil 1 gibt es nicht). Seine karg instrumentierten und wacklig gesungenen Lieder kombinierten selbstbewusst und elegant Velvet Underground und Serge Gainsbourg - melancholisch und weise, poetisch und auch ein kleines bisschen lustig. Sein neues Album beginnt satter, wuchtiger und natürlich mit der gesampelten Stimme von Francoise plus beherztem Klauen bei der Klassischen Musik. Es geht dann aber gewohnt minimalistisch weiter, irgendwo zwischen windschief schrammelndem Indie-Pop und rumpelnden DIY-Punk a la Television Personalities. Die Texte wie immer super, frech, ironisch, sloganhaft. Die Melodien ebenso einfach wie eingängig. Zu handgespieltem Discobeat raunzt Brezel mal auf deutsch, mal auf französisch und begleitet sich auch schon mal mit einer elektronischen Maultrommel. Mein Lieblingssong „Je ne pardonne jamais“ ist YeYe-Orgelpunk mit Fuzz. Auch toll: der Titelsong, wo er einfach über eine traumhafte Bossa-Nummer aus den 60ern mit portugiesischem Mädchengesang drübersingt, was traumhaft klingt. Insgesamt geht es hier aber mehr nach vorne, die melancholische Trauerphase scheint weitgehend beendet. Die Musik ist (meistens) laut, schnell und räudig, meint Brezel und wer will ihm widersprechen. (Joe Whirlypop)
Tracklisting
1. Such Dir Einen Arzt< |
>2. Sexuell Aufgeladen< |
>3. Visiteur Spectaculaire< |
>4.Je Ne Pardonne Jamais< |
>5.Tschernobyl< |
>6. Apokalypse< |
>7. Feuerloscher< |
>8. Ohne Licht< |
>9. Obsessions< |
>10. Die Letzte Kugel< |
>11. Tilidin< |
>12. Friedhof Der Moral< |
>13. Au Revoir |
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