Rezension
Manche kehren immer wieder in die Vergangenheit zurück um die Erinnerungen und Empfindungen von damals mit dem Hier und Jetzt zu vergleichen, während andere einfach nur stur nach vorne blicken - Lucy Dacus gehörte lange zur ersten Gruppe. Ihr drittes Album "Home Video" basiert auf Erinnerungen ihrer Coming-Of-Age-Jahre in Richmond, Virginia. Viele der Songs beginnen wie Memoiren und alle haben die Passion, den Humor und die Ehrlichkeit von erfrischend autobiographischen Texten. Während einer langen Zeit auf Tour hatte sich Lucy gefreut, endlich wieder Zeit in ihrer Heimatstadt verbringen zu können, nur um dort festzustellen, dass Menschen sie wie ein Zerrbild ihrer selbst betrachteten. So brach sie im August 2019 nach einem Monat der Stille kurzerhand auf, um in den Trace Horse Studios in Nashville mit ihren Freunden und Bandkollegen Jacob Blizard, Collin Pastore und Jake Finch an neuem Material zu arbeiten. Ihre boygenius Kolleginnen Phoebe Bridgers und Julien Baker stießen hinzu um ihre Stimmen den Refrains von "Please Stay" und "Going Going Gone" zu leihen. Dass "Home Video" in einer verwirrenden Zeit wie dieser erscheint, wirkt wie vorbestimmt. Nach mehr als einem Jahr zuhause und in einer Lebensphase in der Videocalls die nahezu einzige Form von Zwischenmenschlichkeit waren, ist Retroromantik für viele zum Anker und Fluchtpunkt gleichermaßen geworden. "Home Video" ist ein Beispiel dafür, wie man Verletzlichkeit in Stärke verwandelt. Ihre Stimme und Songs liefern dabei das Fundament für einen hoffnungsfrohen Blick in die Zukunft, der die teils düstere Vergangenheit im Rückspiegel verblassen lässt.
Das schreibt unser Rezensent über das Album:
21er. Eine der 3 „Boygenius“-Singer-Songwriterinnen, die sich vor 3 Jahren zu einer gemeinsamen EP zusammenschlossen (die anderen waren Phoebe Bridgers, Julien Baker, die beide hier Vocals beisteuern). Sie pendelt zwischen akustisch-elektrischen Indie-Pop-Balladen zwischen den Stühlen; überwiegend akustischen (heißt: Ak.Gitarre, Piano, ein dezenter Keyboardschleier im Hintergrund) ein bischen verhangenen Songwriter-Folk-Balladen (in einem Fall mit gewisser faszinierender Sogwirkung gerade wegen der ruhigen Gangart, ganz versteckte Laurel Canyon-Bezüge); intelligentem zeitgenössischem Rock, instrumental intensiv, kompakt und vollmundig, gesanglich frei flottierend/mäandernd; klanglich sehr schön schillernden „Fleetwood Mac im Indie-Kosmos“ oder so; ganz schlichtem poetischem fast verzauberndem Folk nur mit Akustikgitarre; einer Autotune-Ballade (mir sonst verhaßt, hier okay, v.a. auch wegen des etwas längerem superscharfem verzerrtem erhebendem Guitar-Feature zum Schluß); klassischem geradlinigem Indie-Pop, auch als Ballade in weitgehend akustisch und zutiefst anrührend; und einem bezauberndem Song, in dem ihre Stimme nur ganz leise von einem Keyboardvorhang begleitet wird, kurzzeitig leicht dräuend verstärkt (eine Spur Drone-Flair). Über vielen Stücken hängt ein mild-dezenter Melancholie-Schleier, und das Songwriting ist ausgesprochen edel! (detlev von duhn)
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