Detlef Diederichsen - Volkskunst Aus Dem Knabengebirge
Rezension
Wie alle echten Schätze: lang vergraben, fast schon vergessen und zum Glück wiedergefunden. "Volkskunst aus dem Knabengebirge" ist ein ganz großer Fund. Detlef Diederichsen ist heute renommierter Journalist und der Bereichsleiter für Musik, Tanz und Theater im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Bis er dahin kam, erarbeitete er sich als Musiker und kluger Kopf über viele Jahre seinen festen Platz in der Deutschen Musik- und Kulturszene. (Übrigens ist Deutschlands vielleicht beliebtester Pop-Musik-Auskenner Diedrich Diederichsen sein älterer Bruder). Sein Werdegang begann in den 80er Jahren in der Punk- und New Wave-Szene seiner Heimatstadt Hamburg und am Beginn dieser Laufbahn stand sein 1982 veröffentlichtes Solo-Album "Volkskunst aus dem Knabengebirge". Dieses großartige retrograde Synth-Pop-Album atmet geradezu das authentische 80er Jahre Hamburg - es entstand im Hafenklang Studio am damals noch ziemlich schmuddeligen Fischmarkt, zwischen Fischhändlern, Straßenstrich und dem durchdringenden Geruch nach Hopfen von der nahen Brauerei. Niemals sollten die Stücke vorformulierte Ideen verwirklichen, sondern wurden ganz im Gegenteil frei und experimentell entwickelt- Grundlage bot immer der der programmierte Beat, für den ein damals brandneuer und heute grandios altmodischer analoger Boss Dr. Rhythm DR-55 Drum Computer genutzt wurde. Wenn der Rhythmus groovte, wurden Gitarren, Bass, Casio-Keyboards und Gesang darüber geschichtet. Die deutschen Texte fanden sich quasi am Wegesrand, Schlagzeilen aus Zeitungen, Dostojewski-Romane, Brecht-Lyrik und Konversationsschnipseln von Vorschulkinder im Schulbus (Diederichsen arbeitete damals als dessen Fahrer) bildeten den Sud, in dem Diederichsen seine Ideen auskochte. Damit bildet die Platte auch einen Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle, die damals noch ihren dadaistisch-artifiziellen Untergrund-Charakter innehatte, bevor sie wenige Jahre später zum Schlager verflacht zu Tode kommerzialisiert wurde. "Volkskunst aus dem Knabengebirge" ist ein Experiment reinsten Wassers. Bester deutscher Synth-Pop. Und erscheint nun - kurz Detlef Diederichsens 60. Geburtstag als Wiederveröffentlichung bei Tapete Records. Und Zeit wird's!
Der jüngere der beiden Diederichsen-Brüder wurde jüngst 60 Jahre alt, jetzt bringt Tapete Records sein einziges Soloalbum von 1982 wieder an den Start. Meine Generation kennt beide Diederichsens vor allem als Schreiber bei der Spex. Während Diedrich dort zeitweise Herausgeber war und später zum vielleicht wichtigsten deutschen Poptheoretiker heranreifte, schrieb DD der Jüngere dort als Ewald Braunsteiner über eher unerwartete Themen von Country bis Brasil. Im Gegensatz zum großen Bruder schlug er eine deutlich ernsthaftere musikalische Karriere ein vor allem die Zimmermänner leisteten einen gewichtigen Beitrag zur Hamburger Popgeschichte nach Punk. Später produzierte er u.a. FSK, Souled American und The Sea And Cake, seit 2006 arbeitet er am Berliner Haus der Kulturen der Welt. Sein Soloalbum entstand kurz nach dem Abitur während seiner Zeit als Zivi, was man auch durchaus hören kann. Mit nur vagen Punk-Bezügen geht es hier um dadaesken Pop mit entsprechenden Texten zwischen absurd und albern. Die Musik bewegt sich stilistisch zwischen Pop, New Wave und Experiment. Gerne mit Hang zum Melodiösen, die Arrangements ungewöhnlich und teils mit komplexen Gesangsharmonien. Mit insgesamt eher wenig Gitarre, vielleicht ein bisschen beeinflusst von britischen Bands wie Cabaret Voltaire und Rip, Rig & Panic Bezüge zu jenen kommen mir jedenfalls zeitweise in den Sinn. Mit Drum-Computer und einem sehr präsenten Bass, von Timo Blunck als BRD-Version von Jah Wobble gespielt. Es gibt einige zeittypische kleine Instrumentals, wobei DD als Sänger doch charmante Präsenz zeigte. Produziert hat der jungen Thomas Fehlmann, der mit Blunck alsbald bei Palais Schaumburg landen sollte. Letztlich hört man hier, dass es wahrscheinlich darum ging, musikalischen Helden von Van Dyke Parks über Harry Nilsson bis zu Burt Bacharach mit deutlich beschränkten technischen und finanziellen Fähigkeiten Tribut zu zollen der wahre Spirit von Punk eben, der für künstlerische Entschlossenheit sorgte. Einfach mal ausprobieren und machen! (Joe Whirlypop)
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