Flying Colors - Third Degree (ltd. DeLuxe Edition)
Rezension
Wer, wie ich, sich ein besonders überraschendes Progressive-Vergnügen gönnen möchte, sollte dieses Zeiten und Räume durchschreitende, in herrlich inspirierten Instrumental-Passagen ausufernde, mit einem Sänger der guten, alten Hardrock-Schule gesegnete Neun-Epen-Werk ohne weitere verbale Vorbildung genießen und ab hier das Lesen einstellen. Kam ich erschreckend kenntnisarmer Flying Colors-Laie doch beim uninformierten Ersthören dieses opulenten Groß- und Band-Drittwerks aus dem Staunen kaum heraus, derart versiert erschienen mir vor allem die instrumentalen Sturz-, Rund-, Höhen- und Transatlantic-Flüge, dass ich einem Auftauchen aus dem namenlosen Nichts schlicht keinen Glauben schenken mochte. Mit spielerischer Meisterschaft in sämtlichen, vor allem elektrischen Belangen beeindruckend, auf Gitarre, Bass, Schlagwerk und Keyboard/Orgel gleichermaßen packend, mitreißend und inspririert inspirierend werden hier Brücken quer durch Jahrzehnte des progressiven Rock geschlagen, reich an Rhythmus-Brüchen, Tempi-Wechseln und Dynamik-Sprüngen wahre Paläste des stilreichen Art-Hard-Rock errichtet, und gleichzeitig die Grenzen in zum Teil unerwartetes Neuland überschritten. Dennoch sind es die vielen alten, geliebten Größen, durch deren Auftauchen vor dem inneren Ohr hier das Herz des Prog-Hörers erreicht und geöffnet wird, die Nähen zur Violinen-verfeinerten Kansas-Welt, den Mittelalter-Verweisen von Jethro Tull, die von singend-sägenden Gitarren machtvoll gestalteten epochalen Epen eines Steve Hackett, die artifiziell-eingängige Kunst der mittleren Yes-Phase, die bassgroovelastige Wucht von Pothead, perkussiv-peitschende IQ-Passagen, gloriose Twin-Lead-Gitarren-Gipfel, Jon Lord-ehrenwerte Orgel-Ausflüge, mal Keith Emerson-, mal Rick Wakeman-nahe Keyboard-Soli und sogar Funk-Bass-Exkursionen füllen ein Werk von begnadeten Instrumentalhandwerkern, die ihr Können bei aller Kunstfertigkeit nie zum Selbstzweck ausarten lassen. Und während Sänger und Songwriter Casey McPherson (Alpha Rev, The Sea Within) in mal sanften Melodielinien, mal himmlisch-hymnischen Refrains die berührende Mitte zwischen Rae Garvey, Matthew Bellamy und David Coverdale trifft, zelebrieren vier weitere Größen der (progressiven) Rockwelt hier ein eine wahre Meisterleistung der Art-Rock-Architektur: Steve Morse (Deep Purple, Dixie Dregs, Kansas, Mike Portnoy (Dream Thetare, Transatlantic), Neal Morse (Transatlantic, Spock's Beard) und Dave LaRue (Dixie Dregss, Joe Satriani) vervollständigen ein kreatives Künstler- und Könner-Quintett, das in bis zu zehnminütigen Epen mühelos die Brücke von Kansas und Genesis über IQ und Flower Kings bis hin zu Muse schlägt, Jethro Tull, Deep Purple und Roger Glover's Butterfly Ball mitunter mehr als nur streift und dennoch ein völlig einzigartiges Prog-Rock-Opus erschafft, das rundum reine Freude bereitet. 66 Minuten perfektester Prog-Pracht. (cpa)